HERZKAMMER
Verpflichtende Ganztagsschule, Hausaufgabenbetreuung, flexible Lernangebote nach dem regulären Unterricht – Welchen Weg geht Bayern beim Thema Ganztag?
GUDRUN BRENDEL-FISCHER
Mit einem bayerischen Weg beim Ganztag wollen wir den unterschiedlichen Bedürfnissen der Eltern entgegenkommen. Bei unseren zahlreichen Gesprächen und Besuchen bestand der eindeutige Wunsch von Elternseite, keine Ganztagsverpflichtung einzuführen. Entsprechend können Eltern bei uns aus einem flexiblen und kindgerechten Angebot an Betreuungsformen wählen, bei dem eben nicht alle Nachmittage fremdbestimmt sind. So bleibt genügend Raum für individuelle Aktivitäten. Der aktuelle Trend zum offenen Ganztag, für den sich Kommunen und Schulfamilien bevorzugt entscheiden, bestätigt unsere Einschätzung.
HERZKAMMER
In diesem Jahr soll es für jede Schülerin und jeden Schüler bis 14 Jahre ein bedarfsgerechtes Ganztagsangebot geben. Wie ist der aktuelle Stand?
KERSTIN SCHREYER
Das Angebot muss sich nach dem Bedarf richten, nicht umgekehrt. Welcher Bedarf wirklich besteht, und zwar sowohl mit Blick auf die benötigten Plätze insgesamt wie auch in Bezug auf die konkrete Form des Angebots, kann am besten vor Ort eingeschätzt werden. Deswegen verantworten bei uns die Kommunen nicht nur die außerschulischen Angebote, sondern sie stellen auch – gemeinsam mit den Schulen – die Anträge auf schulischen Ganztag. Bislang wurde jeder genehmigungsfähige Antrag in Bayern auch genehmigt. In dieser Hinsicht ist die „Ganztagsgarantie" von 2013 voll erfüllt! Wir wollen und werden uns darauf aber nicht ausruhen – im Gegenteil: Der Bedarf wird weiter wachsen, vor allem auch im Grundschulbereich. Und er wird sich verändern. Die Themen Ganztag und Betreuung bleiben daher auch in den kommenden Jahren zentrale Felder unserer Politik. Wir wollen die Rahmenbedingungen für passgenaue Angebote mit Blick auf Familien und Kinder weiterentwickeln – und dabei nicht nur auf die Zahlen schielen: Eine möglichst hohe Ganztagsquote sagt nämlich nichts über Qualität und den tatsächlichen Bedarf der Familien aus!
HERZKAMMER
Mehr Lernzeit = bessere Bildung. Geht diese Gleichung auf?
GUDRUN BRENDEL-FISCHER
Lernzeit findet nicht nur in der Schule statt. Kinder brauchen für ihre Entwicklung auch Aktivitäten außerhalb der Schule. Bei längerer Lernzeit kann der Wechsel von Anspannung und Entspannung durch Sport, Musik und Bewegung, durch handwerkliches Tun und spielerische Lernmethoden gut aufeinander abgestimmt werden. In der Gemeinschaft im Hort oder einer Lerngruppe im Ganztag steigt bei manchen Kindern die Lernmotivation. Auch dem sozialen Lernen kommt eine Nachmittagsbetreuung entgegen – was insbesondere Einzelkindern gut tut. Es gibt aber auch Kinder, die schulische Aufgaben am Nachmittag lieber alleine erledigen und gute Anregungen im Elternhaus erfahren.
HERZKAMMER
Kommt der Rechtsanspruch auf den Ganztag?
KERSTIN SCHREYER
Eltern, die arbeiten gehen wollen oder müssen, brauchen für ihr Kind eine gute, verlässliche Betreuung. Hierauf muss der Ausbau der Ganztagsangebote reagieren – Rechtsanspruch hin oder her. Ich halte daher die Frage für sekundär, ob der Rechtsanspruch kommt oder nicht. Viel wichtiger ist doch, dass Eltern für ihr Kind ein Betreuungsangebot vorfinden, wenn sie den entsprechenden Bedarf haben. Daran müssen wir uns auch in Zukunft messen lassen. Der Ausbau der Ganztagsangebote wird uns daher auch in Zukunft intensiv beschäftigen.
HERZKAMMER
Ganz generell: Was macht ein gutes Ganztagsangebot aus?
GUDRUN BRENDEL-FISCHER
Wenn Kinder nach Schulschluss in den Ganztagsbereich stürmen, wie ich das in meiner Heimatgemeinde erlebe, dann läuft es gut. Die Kommune hat ohne großen Mitteleinsatz Räume kreativ umgestaltet, unsere Kirchengemeinde hat als Kooperationspartner motiviertes Personal eingebracht. Schulleiterin, Bürgermeisterin und Pfarrer stehen in engem Kontakt und kümmern sich. Eine gute Kommunikation ist auch hier hilfreich.
KERSTIN SCHREYER
Kinder sind dort gut aufgehoben, wo sie sich angenommen fühlen – sei es in der Ganztagsschule, im Hort oder in der Mittagsbetreuung. Die Qualität des Ganztags steht und fällt deswegen mit den konkreten Personen, die sich tagtäglich um die Kinder kümmern, ihre Bedürfnisse ernst nehmen und ihre Entwicklung unterstützen. Dabei kann die engagierte Mutter, die sich zur Mittagsbetreuerin fortgebildet hat, genauso gute Arbeit leisten wie die Kinderpflegerin, der Sozialpädagoge oder die Lehrkraft. Wir haben in der aktuellen Legislaturperiode einige Verbesserungen erreicht. Der Erhalt unserer hohen Qualitätsstandards wird auch künftig eine Herausforderung bleiben. Aus zahlreichen Besuchen vor Ort weiß ich aber: Wir haben sehr engagierte Menschen in unseren Betreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen, die die Kinder ins Zentrum stellen. Das ist eine gute Voraussetzung für die Zukunft!