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Zusammenarbeit
Freundschaft über Grenzen hinweg

Bayern und Tschechien sind Nachbarn in Europa. 1997 und 2017 unterzeichneten beide Länder eine Erklärung zur freundschaftlichen Zusammenarbeit und für eine gemeinsame Kooperation – der Startschuss für eine inzwischen über 20-jährige vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Regierungs- und Parlamentsebene.

Ein Gespräch mit Karl Freller, Erster Vizepräsident des Bayerischen Landtags, und Jan Bartošek, Koordinator für die bayerisch-tschechische Parlamentariergruppe und Vizepräsident des tschechischen Abgeordnetenhauses.

HERZKAMMER

Bayern und Tschechien – das war lange Zeit ein schwieriges Verhältnis. Wie ist die Beziehung beider Länder heute und welche Rolle hat dabei die EU gespielt?

KARL FRELLER

Noch vor 15 Jahren hätte niemand geglaubt, dass gegenseitige Besuche zwischen Tschechien und Bayern auf höchster Regierungsebene Alltag sind. Die Parlamente beider Länder sind ständig im Austausch und der Kontakt der Menschen untereinander – insbesondere in der Grenzregion – ist freundschaftlich und unaufgeregt. Das Verhältnis zwischen Tschechien und Bayern ist ein Musterbeispiel für die integrative Kraft der Europäischen Union. Die Mitgliedschaft Tschechiens und damit auch die offenen Grenzen und der ungehinderte Austausch beispielsweise von Dienstleistungen haben eine gesamte Region vitalisiert. Die EU hat ein Fundament der Zusammenarbeit geschaffen, nicht zuletzt, weil sich damit beide Seiten zu gemeinsamen Werten bekennen, die eine gegenseitige Verständigung möglich gemacht haben.

JAN BARTOŠEK

Ich bin ein langjähriger Befürworter und Unterstützer der Zusammenarbeit zwischen dem Bayerischen Landtag und dem tschechischen Parlament. Auch weiterhin gehört es zu meinen Prioritäten, die deutsch-tschechischen Beziehungen zu festigen. Als Schlüsselmoment sehe ich die Deutsch-Tschechische Erklärung an, auf der die heutige erfolgreiche Zusammenarbeit im europäischen Rahmen basiert. Darüber hinaus schätze ich die bayerische Repräsentanz in Prag sehr.

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Jan Bartošek, Koordinator für die bayerisch-tschechische Parlamentariergruppe und Vizepräsident des tschechischen Abgeordnetenhauses
@Marta Martináková

HERZKAMMER

Welche gemeinsamen Ziele gibt es und welche Projekte sind in nächster Zeit geplant?

KARL FRELLER

Ziel war und bleibt das enge Miteinander auf politischer, gesellschaftlicher und auch wirtschaftlicher Ebene. Besonders die vielen kulturellen Projekte zwischen beiden Ländern liegen mir persönlich am Herzen. So gibt es in Tschechien Schulen, die Deutsch als Fremdsprache anbieten, ebenso wie manche bayerische Schulen Tschechisch als Pflichtfach führen. Diese Austauschprojekte sollen auf jeden Fall fortgeführt und vertieft werden. Bildung und gemeinsames Lernen sind die Basis für ein gutes und produktives Zusammenleben – nicht zuletzt im Sinne des Friedensprojektes Europa.

JAN BARTOŠEK

Ein friedliches und prosperierendes Europa ist das wichtigste Ziel. Das betrifft die Zusammenarbeit im Bereich der Wissenschaft, Forschung und Innovation, ebenso wie in der Volkswirtschaft, Digitalisierung, Automatisierung und Industrie 4.0. Gleichzeitig müssen wir uns um die Sicherheit kümmern. Das heißt, die Zusammenarbeit im Kampf gegen Fehlinformationen und Terrorismus weiter zu verstärken.

HERZKAMMER

Tschechien ist 2004 der EU beigetreten. Welche neuen Kooperationen und Handelsbeziehungen sind dadurch zwischen Bayern und Tschechien entstanden?

KARL FRELLER

Neben Ministerien und anderen staatlichen Einrichtungen engagieren sich viele Akteure auf regionaler und kommunaler Ebene seit über 20 Jahren für ein gemeinsames Miteinander: Landkreispartnerschaften, über 80 kommunale Gemeindepartnerschaften, die beiden Euregiones im Osten Bayerns und Regionalkooperationen zwischen den drei bayerischen Regierungsbezirken an der Grenze mit ihren tschechischen Nachbarbezirken. Und die bayerische Vertretung in Tschechien war natürlich ein wichtiger Schritt. Auch wirtschaftlich ist das Verhältnis zwischen Tschechien und Bayern eine Erfolgsgeschichte: Rund ein Drittel seines Außenhandels wickelt Tschechien mit Deutschland ab. Umgekehrt ist Tschechien für Deutschland gleich nach Polen der zweitwichtigste Handelspartner in Mittel- und Osteuropa.

JAN BARTOŠEK

Zum gemeinsamen Ziel gehört darüber hinaus der Aufbau einer guten Politikkultur, die den Menschen erklärt und praktisch aufzeigt, wie nützlich die EU ist. Unsere große Aufgabe ist es, die europäische Einheit trotz der Angriffe von Populisten und Angstmachern aufrechtzuerhalten.

HERZKAMMER

Wie können Bayern und Tschechien dazu beitragen, die EU weiterzuentwickeln?

JAN BARTOŠEK

Einheit und Sicherheit sehe ich hier als Schlüssel zum Erfolg. Europa sollte weiterhin den Bedürftigen Hilfe anbieten und gleichzeitig klar Stellung beziehen gegenüber denjenigen, die gegen Regeln verstoßen. Wir müssen unsere eigenen Interessen gegenüber Russland und China schützen, unser Bündnis und unsere Partnerschaft festigen, aber auch das Geschäftsgebiet eindeutig abgrenzen, wie im Bereich des 5G Netzes, der kybernetischen Sicherheit oder auch in Bezug auf die staatlichen Technologien.

KARL FRELLER

In Zeiten, in denen Teile Europas auseinanderzudriften drohen, bieten Tschechien und Bayern mit ihren vielfältigen Kooperationen das Gegenmodell zu Abgrenzung und engstirnigem Nationalismus. Gemeinsam erreicht man mehr für die Menschen. Tschechien und Bayern beweisen das ständig aufs Neue. Und so sollten wir uns nicht beklagen oder belehren, sondern vorleben wie es auch geht – nämlich besser.

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Karl Freller, Erster Vizepräsident des Bayerischen Landtags
@Rolf Poss

HERZKAMMER

Die EU fördert mit dem Programm „Ziel ETZ Freistaat Bayern – Tschechische Republik" grenzübergreifende Projekte. Auf welchen Ebenen sehen Sie hier den größten Handlungsbedarf?

KARL FRELLER

Im Bereich digitaler Technologien steckt großes Potenzial. In dem Projekt „Digital international" werden Jugendliche aus Tschechien und Bayern zusammengebracht, um die Begeisterung für digitale Technologien zu wecken. Ziel ist es, Schlüsselkompetenzen für das Arbeiten in einem internationalen Unternehmen zu vermitteln. Die EU fördert damit nicht nur technologisches Knowhow, sondern vermittelt auch Sprachkenntnisse und Kulturtechniken. Ebenfalls von großer Bedeutung sind die gemeinsamen Bestrebungen auf dem Gebiet der Umweltstandards, wie zum Beispiel die Bodenqualität und die Schadstoffbelastung in der bayerisch-tschechischen Grenzregion.

HERZKAMMER

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Meilensteine der bayerisch-tschechischen Zusammenarbeit auf Parlamentsebene?

KARL FRELLER

Gerade im Bereich der Erinnerungsarbeit bieten sich viele gemeinsame Projekte auf Parlamentsebene an. Das erste war der gemeinsame Gedenkakt des Landtags mit dem tschechischen Parlament und der Organisation der jüdischen Gemeinden Tschechiens für die Opfer des Holocaust 2017, der damals in Bayern und Tschechien viel Beachtung gefunden hat. Es war das erste Mal, dass Bayern und Tschechen auf tschechischem Boden eine derartige Veranstaltung organisiert haben, und die Bereitschaft, in dieser Richtung weiter gemeinsam zu arbeiten, ist in Prag und München klar erkennbar. Die Eröffnung der Bayerischen Repräsentanz in Prag im Jahr 2014 war ebenfalls ein Meilenstein.

JAN BARTOŠEK

Den Holocaust-Gedenktag in Terezín und Litoměřice mit der ehemaligen Landtagspräsidentin Barbara Stamm betrachte ich ebenfalls als einen der Schlüsselmomente. Eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit auf dieser Ebene ist essenziell.

HERZKAMMER

Was bedeutet Europa für Sie persönlich?

JAN BARTOŠEK

Die Tatsache, dass wir zu Europa gehören, bedeutet für mich die Erfüllung eines Kindheitstraums. Als kleiner Junge sah ich nur durch den Zaun bei Slavonice in die große freie Welt hinaus. Europa ist ein freier Raum, manchmal vielleicht unnötig kompliziert. Jedoch sehe ich für mich und meine Kinder keine andere und bessere Zukunftsvision. Europa ist ein großes, konkurrenzfähiges Gebiet voller Potenzial, voll begabter und fähiger Menschen. Ihre Ambition sollte es sein, eine noch souveränere Rolle auf dem Weltmarkt zu spielen.

KARL FRELLER

Auch für mich ist Europa schlicht gesagt ein Traum, der wahr geworden ist. Wer ein wenig über den Tellerrand in andere Teile der Welt blickt oder sich mit unserer Geschichte beschäftigt, stellt schnell fest: wie wir heute gemeinsam im Haus Europa leben können und dürfen, ist ein Geschenk. Und dieses Geschenk müssen wir im Sinne unserer Kinder und Kindeskinder bewahren – ein Leben in Freiheit, Frieden, Wohlstand.

Bildquelle Header: filrom – iStock-Photo.com