Prof. Dr. Horst Opaschowski
Gastbeitrag
Sicherheit ist die neue Freiheit der Deutschen

Im Zeitalter der Globalisierung ist alles in Bewegung – das Geld, die Güter, die Märkte und die Menschen auch. Zudem erschüttern Krisen und Kriege die Welt. Es gibt keine Insel der Seligen und keine dauerhaften Stabilitätsoasen mehr. Wirtschaftliche Probleme der Schwellenländer, insbesondere Brasiliens, sowie der Verfall des Ölpreises belasten die Öl fördernden Länder. Kurz: Die Weltlage ist so fragil wie lange nicht mehr. Als größter Unsicherheitsfaktor kommen Terrordrohungen, Flüchtlingskrise sowie geopolitische Risiken hinzu – von Nahost über Syrien und die Ukraine bis zu Iran und Saudi-Arabien.

Nun sind unsichere Zeiten nicht neu, wohl aber das Ausmaß, die Intensität und die Dauer von Krisen, die in immer kürzeren Abständen auftreten und in ihren Auswirkungen extremer und globaler werden – Finanz- und Wirtschaftskrisen genauso wie Umwelt- und Gesellschaftskrisen. Die junge Generation kennt fast nichts Anderes: Für diese „Generation Krise“ ist Unsicherheit Normalität geworden. Für diese Generation ist es in Zukunft viel schwieriger, ebenso abgesichert und im Wohlstand zu leben wie die heutige Elterngeneration.

In einer Ära weltweiter Unsicherheit müssen die Menschen umdenken und lernen, in und mit dauerhaft unsicheren Zeiten zu leben. Die Finanzmärkte kennen diese Volatilität schon lange: Kein Vermögenswert ist mehr wirklich sicher. Nach dem amerikanischen Risikoforscher Nicholas Taleb brauchen wir ein neues Denken für eine Welt, die bei allem Fortschritt immer unberechenbarer wird. Seine Antwort und Empfehlung auf die Herausforderungen in unsicheren Zeiten lautet: „Antifragilität“. Damit ist eine Lebenshaltung gemeint, die mehr als stark, solide, robust und unzerbrechlich ist. Wer sich antifragil verhält, steht Unsicherheiten und Ungewissheiten geradezu positiv und offensiv gegenüber – und rechnet mit Unberechenbarkeiten.

Weil aber Gesellschaft und Politik vielen Bürgern keinen schützenden Sicherheitsrahmen mehr „verbürgen“ können, wird der Hunger nach Sicherheit größer als der Durst nach Freiheit. Fast müsste die deutsche Nationalhymne umgedichtet werden in: „Ehrlichkeit und Fleiß und Sicherheit“. Dabei geht es nicht um maßlose Sicherheitsansprüche der Bürger, sondern um existentielle und soziale Sicherheit – Arbeitsplatzsicherheit. Geldwertsicherheit. Zukunftssicherheit.

Sicherheit ist die neue Freiheit der Deutschen. Dies bleibt nicht ohne Folgen: Prägt in Zukunft eine neue Welt von Sicherheits-Behörden und Sicherheits-Gesetzen zunehmend unseren Lebensalltag in Deutschland? Wird das hohe Sicherheitsdenken der Bevölkerung Behörden geradezu in Daueralarm versetzen? Die Begründung der Politik lautet: Die Bürger sollen sich sicher fühlen und ruhig und gelassen bleiben. Gleichwohl darf die Freiheit – von der Versammlungs- über die Presse- bis zur Meinungsfreiheit – nicht auf der Strecke bleiben. Werden wir eines Tages die grundgesetzlich verankerte Freiheit nicht mehr schützen können, weil sie vorher im Interesse der Sicherheit abgeschafft wird?

Spätestens seit Fukushima (2011) muss uns doch allen klar geworden sein, dass auch ein Restrisiko Realität werden kann: Über Sicherheitsannahmen und Sicherheitsvorkehrungen muss neu nachgedacht und entschieden werden. Nicht jede Katastrophe ist „vorhersehbar“, wohl aber vorstellbar. Politik als Daseinsvorsorge heißt daher auch: Das Undenkbare denken, mit dem Unberechenbaren rechnen und das Unwahrscheinliche für wahrscheinlich halten. Das ist vorausschauende Verantwortung.

 

Prof. Dr. Horst Opaschowski, Zukunftswissenschaftler und Berater für Wirtschaft und Politik, hat sich international einen Namen als „Mr. Zukunft“ (dpa) und „Futurist“ (Xinhua/China) gemacht. Er ist Autor des Standardwerks der Zukunftsforschung „Deutschland 2030. Wie wir morgen leben“ (Gütersloher Verlagshaus), leitete bis 2010 die Stiftung für Zukunftsfragen und gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa, seiner Tochter, das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung (O.I.Z) in Hamburg.

Bildquelle Header: Günter Meier