Die Digitalisierung ist einer der Megatrends und Innovationstreiber des 21. Jahrhunderts. Sie verändert nicht nur unseren privaten Bereich, sondern auch unsere Arbeitswelt. Wie werden wir künftig arbeiten? Welche neuen Berufe entstehen? Teile ich mein Büro bald mit einem Roboter? Digitalisierungs-Experte Ibrahim Evsan und Markus Blume, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Digitalisierung und Medien der CSU-Fraktion, stellen sich sieben Thesen über den Arbeitsmarkt der Zukunft.
Jeder Beruf wird von der digitalen Zukunft erfasst
EVSAN: Ja, teilweise aber auch nur beeinflusst. Ob ein Roboter die Haare schneidet – da bin ich mir nicht sicher. Aber dass wir häufiger Apps nutzen, um zu testen, welche Frisur zu uns passt, das kann ich mir gut vorstellen und das passiert ja heute schon.
BLUME: Künftig wird es praktisch keine digitalisierungsfreien Orte geben. Deshalb ist wichtig, dass sich jeder fragt: Habe ich die richtige Ausbildung? Glaube ich, dass ich mit meinem Schulabschluss und meiner Ausbildung durch 45 Jahre Berufsleben komme? Da ist diese radikale Grundannahme – dass jeder Beruf von der Digitalisierung erfasst wird – schon hilfreich.
Es werden viele neue Berufe entstehen
EVSAN: Wenn es irgendwann nur noch Elektroautos gibt, verändert das die gesamte Automobilindustrie. Welche Berufe entstehen dann? Ein digitales, selbstfahrendes Auto bietet viel mehr Unterhaltungsmöglichkeiten. In-Car-Commerce wird mir vielleicht während der Fahrt übers Land zeigen, wo ich die beste Bio-Milch beim Bauern kaufen kann. Ich glaube: Wenn ein Beruf wegfällt, kommen zehn nach.
BLUME: Die Politik hat die große Verantwortung, sich darum zu kümmern, dass die Menschen keine Angst vor der digitalen Zukunft haben. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass zwar Berufsbilder wegfallen, wir aber alles dafür tun, dass im selben Umfang Neues entstehen kann. Wir sollten keine Verteilungsdebatte führen, sondern sicherstellen, dass jeder von den neuen Möglichkeiten profitieren kann. Beispiel 3D-Druck: Das bedeutet eine Revolution für das Handwerk ebenso wie für den produzierenden Mittelständler. EVSAN: Für all diese neuen Berufe brauchen wir außerdem anerkannte Abschlüsse, für den Big Data Scientist wie für den Crowd Sourcing Manager. Erst wenn diese Berufe tatsächlich da sind, wird ein Verständnis dafür aufkommen.
Maschinen werden immer komplexere Denkaufgaben meistern - Auch anspruchsvolle Jobs werden wegdigitalisiert
BLUME: Wegdigitalisiert klingt ein bisschen radikal. Jeder Job wird sich verändern, in den wenigsten Fällen wird es allerdings so sein, dass etwas komplett wegfällt. Die digitalen Möglichkeiten können den Menschen helfen, ihre Aufgaben noch besser zu machen. Stupide, maschinelle Aufgaben können etwa automatisiert erfolgen. Ich habe eine optimistische Sicht auf die Dinge.
EVSAN: Ich bin absolut davon überzeugt, dass es so wird. Das beste Beispiel ist der Steuerberater: Er scannt Belege ein, ordnet sie einem Konto zu und so weiter; die Art und Weise der Arbeit ist eher simpel. Große Beratungsunternehmen denken schon in diese Richtung und bilden Steuerberater mehr in Richtung Beratung aus, statt nur die Steuer zu machen.
BLUME: Wir müssen eine Zwischenthese einschieben: Digitalisierung wird immer noch unterschätzt – in ihrer Radikalität und ihrer Geschwindigkeit. Sie wird deswegen unterschätzt, weil exponentielles Wachstum zunächst klein anfängt, aber nach einiger Zeit dann um so spürbarer wirkt. Bei der Digitalisierung erleben wir seit 50 Jahren eine Ver- dopplung der Möglichkeiten alle eineinhalb bis zwei Jahre. Wir kommen jetzt in den Bereich, wo das selbstfahrende Auto schon fast vor der Haustür steht. Viele Dinge werden schon in 10 oder 15 Jahren Realität sein, von denen wir denken, dass sie vielleicht erst in ganz ferner Zukunft möglich sind.
EVSAN: Die Kreativität der Leute hört ja nicht auf, wir leben in einer Welt der Innovationswut. Wut deshalb, weil wir einfach alles entwickeln, was wir uns vorstellen. Wir haben uns den Terminator, die Roboter, die selbstfahrenden Autos vorgestellt. Alles was Vorstellung ist, wird irgendwann Realität und das muss uns bewusst sein.
Der Roboter wird zu unserem Kollegen
BLUME: Wir sollten nicht nur den physischen Roboter vor Augen haben. Viele Tätigkeiten, die auf lange Sicht mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden waren, werden heute mit Unterstützung von Robotern sehr viel besser erledigt. Daneben wird es immer mehr „digitale Helferlein“ geben – intelligente Assistenten, die unser Leben in vielen Bereichen einfacher machen.
EVSAN: Bei Robotern denken wir immer an den Terminator. In Zukunft wird es auch darum gehen, dass wir den Begriff Maschine neu definieren.
Die Menschen müssen künftig weniger arbeiten
BLUME: Die steilere These ist ja: Uns geht die Arbeit aus. Das hat man in der Geschichte schon oft gehört, der Fall ist allerdings noch nie eingetreten und ich glaube auch nicht daran. Es wäre aber falsch, die Entwicklung einfach so weiterlaufen zu lassen. Dann hätten wir soziale, ethische und auch wirtschaftliche Grenzüberschreitungen, die wir politisch nicht verantworten könnten. Wenn wir dagegen frühzeitig die Weichen richtig stellen, werden wir unseren Wohlstand in einer Weise mehren können, wie wir uns das heute noch gar nicht vorstellen können – ohne zusätzlichen Ressourcenverbrauch. Das funktioniert aber nur dann, wenn wir die digitalen Chancen zu den Menschen bringen. Wenn wir alles dafür tun, dass jeder diese digitalen Chancen nutzen kann – egal, wo er wohnt, wie er ausgebildet und in welcher Lebensphase er gerade ist.
EVSAN: Die Art und Weise, wie wir arbeiten und Projekte angehen, verändert sich. Ein Projekt wird nicht mehr als Ganzes gesehen, sondern in viele kleine Teilaufgaben gestückelt, die von den Menschen umgesetzt werden, die am besten darin sind, genannt Crowdworking. Und das findet nach und nach auch das Internet heraus. Dort kann ich mich mit meiner Kernkompetenz jeden Tag neu zur Verfügung stellen. Das kann bedeuten, dass ich fünf Aufgaben am Tag löse – und mir danach frei nehme, weil ich genügend verdient habe.
Geht der Gesellschaft die Arbeit aus, kommt es zu sozialen Unruhen
BLUME: Wir laufen in einen der härtesten Strukturbrüche der Geschichte hinein. Die Erfindung von Buchdruck, Dampfmaschine und Französische Revolution – alles zur selben Zeit. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik werden gleichzeitig und radikal verändert. Daraus erwächst ein starker Auftrag, diese Entwicklung zu gestalten. Wenn wir das gut machen, werden die Menschen davon profitieren und gleichzeitig keine Angst vor der Zukunft mehr haben.
EVSAN: Sozialen Unruhen können wir begegnen, indem wir die Leute richtig ausbilden. Wir brauchen digitale Motivation, damit die Menschen diesen Wandel auch verstehen.
Politik muss die digitale Revolution auf dem Arbeitsmarkt gestalten
EVSAN: Wir müssen Datenschutz neu denken. Wobei ich eigentlich lieber von Datensouveränität sprechen möchte. Wir müssen die Leute aufklären, was genau mit ihren Daten passiert. Lieber eine Bayern-Datenbank gründen, wo die Menschen ihre Daten unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung stellen, damit man damit eine Geschäftsidee aufbauen kann.
BLUME: Beim Thema Digitalisierung gibt es nicht den Knopf, den man drückt, und dann läuft alles. Wir müssen den Boden fruchtbar machen und so bestellen, dass starke digitale Ökosysteme entstehen können. Dazu gehört Bildung von frühesten Kindesbeinen an. Wir müssen uns um die Talente von morgen kümmern – auch an den Hochschulen. Wir müssen den Boden fruchtbar machen für neue Ideen, Stichwort Gründerförderung. Wir müssen Mittelständlern den Anschluss an die digitale Welt geben. Und das alles gleichzeitig. Dazu gibt es keine Alternative.
IBRAHIM EVSAN ist Web-Gründer und Experte für Digital Leadership, berät Dax- Unternehmen, war Botschafter für die Digitale Wirtschaft NRW sowie Beiratsmitglied bei „Code for Germany“, einem Programm für Transparenz, Open Data und Civic Tech in Deutschland. Im Jahr 2013 belegte er Platz 17 der wichtigsten 100 Köpfe der europäischen Digital-Industrie.