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Interview
Wer hat´s erfunden?

Über die Geschichte von Erfindungen und eine künftige Innovationskultur haben wir mit Prof. Dr. Wolfgang Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums in München, gesprochen.

HERZKAMMER Welche Erfindungen der vergangenen Jahre werden aus Ihrer Sicht die Gesellschaft von morgen am meisten prägen?

WOLFGANG HECKL Ganz allgemein gesprochen sind dies aus meiner Sicht all jene Erfindungen, die sich mit den großen Herausforderungen und Problemen beschäftigen, vor denen unsere Erde steht. Ich möchte ein Beispiel nennen, auch wenn es eine scheinbar „kleine“ Erfindung ist: Der Bioreaktor des Fraunhofer Instituts in Sulzbach- Rosenberg beispielweise schafft es, organischen Hausabfall in energetisch verwertbare Substanzen wie Gas oder Öl umzuwandeln. Was für den privaten Hausmüll funktioniert, kann Baustein einer Lösung sein, wie wir mit dem weltweiten Abfallproblem oder den begrenzten Ressourcen unserer Erde umgehen. In allen Bereichen, die heute als Megathemen bezeichnet werden – sei es Chancengerechtigkeit, Mobilität, Energie oder die digitale Gesellschaft – braucht es Entdeckungen, Erfindungen und eine entsprechende marktliche Umsetzung. Denn alle Erfindungen im Zusammenhang mit diesen großen gesellschaftlichen Fragen werden relevant und überlebenswichtig werden für die Zukunft der Menschheit.

HERZKAMMER Viele bedeutende Erfindungen der Vergangenheit haben einen Platz in Ihrem Museum. Welches sind Ihre persönlichen Favoriten?

WOLFGANG HECKL Da fällt mir die Antwort nicht leicht, denn ich liebe natürlich alle meine „Kinder“! Da ist zum Beispiel der Frequenzkammgenerator meines Doktorvaters Theodor Hänsch, der für seine Erfindung 2005 den Nobelpreis der Physik erhielt. Mit dem Frequenzkamm sind extrem genaue Frequenz- bzw. Entfernungsmessungen möglich, wie sie zum Beispiel bei der GPSTechnologie benötigt werden. Oder das Rastertunnelmikroskop von Gerd Binnig, das es zum ersten Mal möglich gemacht hat, Atome oder Moleküle direkt zu sehen. Aber natürlich auch der Dieselmotor, ein Erfolgsmodell, das 100 Jahre überlebt hat – aber nun auch an seine Grenzen kommt.

HERZKAMMER Welche Erfindungen sind denn made in Bavaria?

WOLFGANG HECKL Nehmen Sie Joseph Fraunhofer aus Straubing, der mit der Erfindung des Spektroskops und der Entdeckung der Fraunhofer‘schen Linien im Sonnenspektrum die Astrophysik begründete. Oder Wilhelm Conrad Röntgen, der 1895 im Physikalischen Institut der Uni Würzburg die nach ihm benannten Röntgenstrahlen entdeckte. Er revolutionierte damit nicht nur die medizinische Diagnostik, seine Erfindung führte zu vielen weiteren wichtigen Erkenntnissen des 20. Jahrhunderts, wie zum Beispiel der Entdeckung und Erforschung der Radioaktivität. Das Röntgenbild der Hand seiner Ehefrau findet man im Übrigen als Original im Deutschen Museum. Auch MP3 ist eine bayerische Erfindung, die von einer Forschergruppe am Fraunhofer-Institut in Erlangen und an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg entwickelt wurde.

HERZKAMMER Wenn man einen Erfinder beschreiben soll, kommt einem unweigerlich der einsame Tüftler im Keller oder im Labor in den Sinn. Wie hat sich der Entstehungsprozess von Erfindungen im Laufe der Zeit verändert?

WOLFGANG HECKL Die Einzeltüftler gibt es immer noch – die mir dann zum Beispiel schreiben, dass sie eine tolle Idee haben und wissen möchten, wie sie diese weitervermarkten können. Insgesamt hat sich die Erfinderkultur aber zunehmend institutionalisiert, findet in Forschergruppen, großen Firmen oder Netzwerken statt. Wer etwas als erstes erfunden hat, ist dabei nicht immer eindeutig zu klären. So gab es im 19. Jahrhundert sicher hunderte von Leuten, die mit Glühbirnen experimentiert haben. Und ich als Königstreuer würde immer sagen, Ludwig II. hat sie erfinden lassen, denn es waren Murnauer Glasbläser, die ihm über 20 Glühlampen für sein Schloss Linderhof geliefert haben (lacht). Aber schließlich war es Thomas Alva Edison, auf den diese Erfindung zurückgeht – und zwar aus dem einfachen Grund, dass er der erste war, der aus der Glühbirne ein erfolgreiches Geschäftsmodell gemacht hat.

HERZKAMMER Die Idee allein reicht also nicht…

WOLFGANG HECKL Nein. Schon immer kommt es bei Erfindungen auch auf die Umsetzung an. Und diese Umsetzung stellen sich viele Privaterfinder oftmals viel zu einfach vor. Eine Erfindung oder ein Patent alleine reichen nicht aus – man muss wirklich sehr hart arbeiten. Und das Kapital, das man in die Hand nehmen muss, um am Markt etwas durchzusetzen, ist auch viel größer als viele meinen.

HERZKAMMER Kann man Kreativität und Innovationskultur lernen?

WOLFGANG HECKL Ich bin der festen Überzeugung, dass man nur etwas verstehen kann, wenn man es selbst gemacht hat. Meine Devise ist daher: Lasst alle Menschen – Kinder, Jugendliche, Erwachsene – selbst was tun. Selbst einen Fön reparieren, einen Computer auseinandernehmen, einen 3D-Drucker ausprobieren und eine Idee dafür bekommen, dass man damit etwas ganz Neues entstehen lassen kann. Im Deutschen Museum gibt es diese Formate zum Ausprobieren. Nicht nur Modelle und Stationen, an denen man Versuche nachstellen kann, sondern auch Reparatur- Workshops, die Experimentierwerkstatt oder das TUMMaker- Lab. Diese Orte des praktischen Ausprobierens sind die besten Schmieden für zukünftige Erfinder und Innovatoren – und nicht der intellektuelle Vortrag zum Thema Kreativität. Ich bringe das auf die Formel: Do it – don´t dream it.

HERZKAMMER Warum kommen viele grundlegende Erfindungen, zum Beispiel im digitalen Bereich, nicht aus Deutschland?

WOLFGANG HECKL …oder das IPhone nicht aus Europa… Als Larry Page und Sergey Brin beim Mittagessen im August 1998 Andy Bechtolsheim ihre Idee vorstellten, das gesammelte Wissen der Menschheit mit Internet-Crawlern allen Menschen zur Verfügung zu stellen, war er von der Idee so begeistert, dass er den beiden jungen Informatikern direkt einen Scheck ausstellen wollte. Dabei hatten die beiden noch gar kein Konto. Diese Anekdote sagt viel aus über Innovationskultur. In Deutschland ist so eine Geschichte in der Tat schwer vorstellbar. Hier braucht es einen Business-Plan, hier heißt es oftmals „back erstmal kleine Brötchen.“ Wir sind in vielen Bereichen innovativ, aber für ganz große erfinderische Würfe braucht es Visionäre und ein entsprechendes Umfeld, das diese Visionen unterstützt.

HERZKAMMER Wie erreicht man das? Brauchen Technik und Naturwissenschaft einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft?

WOLFGANG HECKL Die Naturwissenschaft ist ein intellektuelles Abenteuer wie kein anderes. Die weltweiten Herausforderungen, die auf uns zukommen, der Kampf um sauberes Wasser, der Kampf um Ernährung und vieles mehr können nur mit naturwissenschaftlich- technischer Intelligenz gelöst werden. Wenn die Gesellschaft die Naturwissenschaft und neue grundlegende Erfindungen in diesem Bereich wertschätzt, überträgt sich diese Wertschätzung auf die Erfinder von morgen – die junge Generation. Wenn sich zu viele Menschen nur mit den schönen Produkten des Wohlstands beschäftigen, dann bricht unsere Wohlstandskette ab. Denn sie basiert darauf, dass wir die Zukunft mitgestalten und Lösungen auf drängende Probleme und Herausforderungen finden.

HERZKAMMER Innovationen machen das Leben ja oft angenehmer und leichter, bergen aber nicht selten auch Risiken oder unerwünschte Nebenwirkungen. Wie lassen sich diese kontrollieren beziehungsweise wie nimmt man Menschen mit, wenn es um Innovationen geht?

WOLFGANG HECKL Innovationen sind per se nicht gut oder schlecht. Die Erfindung des Messers war ein großer Entwicklungsschritt für die Menschheit: Man konnte damit besser jagen oder Nahrung zubereiten. Aber man konnte damit natürlich auch seinen Nachbarn abmurksen. Unabhängige Information ist die erste Voraussetzung, um sich über eine neue Technik oder Erfindung überhaupt erstmal eine Meinung bilden zu können. Erst mit gesichertem Wissen kann ich aktiv am gesellschaftlichen Diskurs über diese Innovation teilnehmen. In diesem Sinne müssen wir die Menschen viel stärker befähigen – auch über Wissenschaftskommunikation – ihre eigene Meinung und auch ihre eigenen Interessen zu finden. Und das ist nicht immer leicht, denn: Was mir persönlich am meisten nützt, ist nicht immer das, was auch für den Rest der Menschheit gut ist. In diesem Sinne ist es nicht allein Aufgabe der Politik oder der Naturwissenschaft oder der Bildungsträger, zu definieren, welche Innovationen wie genutzt oder kontrolliert werden. Es ist eine Aufgabe für uns alle. Dieser Aushandlungsprozess ist nicht immer leicht, er fällt aber leichter, wenn wir wissen, wovon wir sprechen.

HERZKAMMER Viele Menschen fühlen sich angesichts immer neuer Entwicklungen aber auch überfordert – Stichwort Digitalisierung.

WOLFGANG HECKL Zukunft und Fortschritt sind positiv, aber man muss ihn richtig machen. Auf die digitale Welt übertragen bedeutet das: Die digitale Welt soll dem analogen Prinzip, also uns Menschen, hilfreich sein. Geriatrisc he Robotik zum Beispiel ist eine gute Möglichkeit, um Pflegende körperlich zu entlasten, aber natürlich ist sie kein Ersatz für menschliche Zuwendung. Ich bin der Meinung, dass es auch in einer digitalen Gesellschaft immer reale Orte braucht, an denen die Dinge Wahrheitsgehalt haben. Ich bin ein großer Fan der Digitalisierung, denn sie bietet zahlreiche Vorteile und Chancen. Mit dem digitalen Portal des Deutschen Museums beispie lsweise können Menschen in der ganzen Welt einen Rundgang durch unser Museum machen. Digitale Geschäftsmodelle können helfen, Fluchtursachen zu bekämpfen, indem man Menschen in ärmeren Ländern Zugang zum Internet verschafft und ihnen digitale Geschäftsmodelle vermittelt. Aber auf der anderen Seite bin auch gerne mal ohne Handy auf ei ner Berghütte.

HERZKAMMER Und was würden Sie selbst gerne noch erfinden?

WOLFGANG HECKL Albert Einstein sagte einmal: „Wir haben erst die erste Seite des Kochbuchs des Alten aufgeschlagen“. Ein Bereich, in dem ich mir mehr Erkenntnis wünsche, ist die Bekämpfung lebensbedrohlicher Bakterien und Viren. Wenn es gelänge, mehr Menschen vor gefährlichen Krankheitserregern zu schützen, wäre das eine wunderbare Sache!

Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl
PROFESSOR DR. WOLFGANG M. HECKL ist Physiker und seit 2004 Generaldirektor des Deutschen Museums in München. Außerdem leitet er den Lehrstuhl für Wissenschaftskommunikation an der TUM School of Education. Heckls besonderes Anliegen ist die Kommunikation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse gegenüber der Öffentlichkeit.
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Bildquelle Header: Deutsches Museum München