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Hochwasserhilfe
Ein Dach über dem Kopf, eine Scheibe Brot
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Es sind dramatische Szenen, die sich im Hochsommer vergangenen Jahres in Teilen Bayerns und im Westen Deutschlands abspielen: Nach tagelangem Starkregen überrollen Wasser- und Schlammmassen große und kleine Ortschaften und hinterlassen eine Schneise der Zerstörung. In Oberbayern ist das Berchtesgadener Land besonders stark betroffen. Doch mindestens genauso groß wie die Zerstörung ist die Bereitschaft der Menschen, zu helfen.

Mitte Juli 2021 im Berchtesgadener Land: Es regnet stark – seit Stunden. Gegen Abend des 17. Juli wird der Katastrophenfall ausgerufen, es kommt zu zahlreichen kritischen Situationen, bei denen sich Menschen in Lebensgefahr befinden. In Schönau am Königssee müssen viele Anwohner ihre Häuser verlassen und evakuiert werden. Rettungsdienste und die Bundeswehr sind im Einsatz sowie nahezu alle Freiwilligen Feuerwehren des Landkreises. Das THW rückt mit schweren Geräten an, um zu verhindern, dass Hänge abrutschen. Und auch viele Bürger aus weniger betroffenen Gebieten machen sich trotz überspülter Straßen und Gleise auf den Weg, um zu helfen. „Die Solidarität war groß“, berichtet der Berchtesgadener Landrat Bernhard Kern. „Uns war zunächst wichtig, dass insbesondere die gefährlichen Akuteinsätze durch die Hilfsorganisationen bewältigt werden.“

 

Keine Gefahr für die Helfer



Später bei den Aufräumarbeiten packen alle mit an, freiwillige Helfer räumen Schlamm zur Seite oder verteilen etwa Kleiderspenden. Weil so viele Keller vollgelaufen waren, benötigten die Menschen Bautrockner, die hauptsächlich der Landkreis Rottal-Inn zur Verfügung stellt. Facebook unterstützt die Helfer dabei, sich zu organisieren. „Es ist toll, dass uns so viele Helfer aus dem privaten Bereich unterstützt haben“, erklärt Bernhard Kern. Um auch hier die Kommunikation für die Zukunft zu verbessern, schlägt der Landrat vor, zentrale Ansprechpartner zu benennen, die sich um deren Organisation kümmern. „Wir möchten vorausplanen, damit die Hilfe auch sofort da ankommt, wo sie benötigt wird und keine Gefahr für die Helfer entsteht.“ 

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Landrat Bernhard Kern
@LRA BGL



Ortswechsel. Nicht nur in Bayern, auch in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bestimmt Starkregen die Wetterlage. Die Wassermassen lassen die Ahr ansteigen und zu einem reißenden Fluss werden. An vielen Orten werden die Messstationen von den Fluten mitgerissen, sodass kaum jemand sagen kann, wie hoch die Ahr tatsächlich in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli steht. Viele Menschen verbringen Stunden auf den Dächern ihrer Häuser, Hunderte werden vermisst. Im bayerischen Moosburg packen Freiwillige des Vereins NAVIS fünf Trinkwasseraufbereitungsanlagen ein und machen sich auf den Weg Richtung Westen. 

 

Schnelle Hilfe ohne Grenzen



„Wer Krieg und Katastrophen erlebt hat, für den war natürlich unvorstellbar, dass so etwas in Deutschland möglich ist“, berichtet Mark Hübner, Schriftführer im Verein. Ziel von NAVIS ist Ahrbrück, eine Gemeinde an der Ahr, die komplett von der Versorgung abgeschnitten wurde. Dort produzieren die Helfer aus Bayern zunächst aus dem Flusswasser Trinkwasser, damit die Wasserausgabestationen bedient werden können. „Für viele Menschen war in diesem Moment das Wichtigste, ein Dach über dem Kopf und eine Scheibe Brot zu haben“, erklärt Mark Hübner. Neben NAVIS sind auch das THW und die Bundeswehr sowie Feuerwehren aus ganz Deutschland vor Ort, die sich „um die groben Arbeiten“ kümmern. Auf dem Nürburgring wird ein großer Bereitstellungsplatz eingerichtet, wohin die Einsatzleitung die großen Konvois lotst. Von dort aus wird weiterverteilt. 

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Helfer von NAVIS installieren eine Trinkwasserraufbereitungsanlage.
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„Schnelle Hilfe ohne Grenzen“ ist das Motto von NAVIS. Der Verein hat sich 2004 nach einer spontanen Hilfsaktion für die Opfer des Tsunami in Südostasien gegründet. Unter den Vereinsmitgliedern gibt es Ärzte und Feuerwehrleute, aber auch andere Experten aus IT und Technik. In den vergangenen Jahren war NAVIS eine der ersten Organisationen, die ihre Zelte beim Erdbeben in Haiti aufschlug. Es gab weitere Einsätze in Kenia, Nepal und Mosambik, aber auch in Deggendorf und Freising.

„Uns als NGO zeichnet aus, dass wir schnell und unbürokratisch handeln können“, erklärt Mark Hübner. Als kleine Organisation brauche man aber natürlich auch die „Großen“: Es würde nichts bringen, Tausende Liter Trinkwasser zu produzieren, wenn nicht die großen Tanklaster der Bundeswehr und der Feuerwehren es verteilen würden. „Wir können die ersten Wochen überbrücken. Wenn dann die große internationale Hilfe anrollt, ist für uns der Moment da, zu übergeben.“ 

Neben den großen Playern machen sich auch kleinere Organisationen und Privatleute auf den Weg, um zu helfen. So auch die beiden Münchnerinnen Sabrina Kicker und Eva Zepke. Nachdem die Damenverbindung ADV Bavaria Aurea zu Spenden von Geld und Sachmitteln aufgerufen hatte, brachten Sabrina und Eva die Spenden mit dem Transporter ins Ahrtal, waren drei Tage vor Ort und haben mit angepackt. Beide kamen in die Gegend bei Altenburg, als die Wassermassen bereits größtenteils versickert waren. „Wir sahen eine unter Dreck begrabene Landschaft. Bäume waren umgeknickt wie Streichhölzer, kein grünes Blatt mehr sichtbar, nur graubrauner Schlamm.“

 

Ein Lächeln schenken 



Überall im Dorf packten Einsatzkräfte und Helfer mit an, Bagger und Traktoren räumten den Schlamm beiseite. Die beiden Helferinnen wurden im Altenburger Versorgungszentrum eingesetzt, der zentralen Anlaufstelle für Lebensmittel, Kleidung, Hygieneartikel und Werkzeug. „In vielen Fällen waren wir neue Freunde mit fremden Gesichtern, die zuhörten, versuchten zu trösten oder einfach nur ein Lächeln in der schweren Zeit schenkten.“ Für die beiden Münchnerinnen eine Erfahrung, die noch lange nachwirkte: „Dies alles zu erleben, diese unglaubliche Solidarität und den Willen, seine eigenen Probleme und Sorgen hinten anzustellen, um diejenigen, denen alles genommen wurde, zu unterstützen, hat uns genauso berührt wie der tiefe Dank der Bewohner.“

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Sabrina Kicker (links) und Eva Zepke (rechtes Bild, Zweite von rechts)
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Auch nach einigen Monaten dauern die Aufräumarbeiten noch an und werden vielleicht sogar Jahre brauchen. Neben umfassenden Finanzhilfen des Bundes und der Landesregierung Rheinland-Pfalz ist die Solidarität mit den Menschen noch immer groß. Täglich buchen Freiwillige den Helfer-Shuttle, der sie für ein paar Stunden dorthin bringt, wo Hilfe am dringendsten benötigt wird. Knapp 200.000 helfende Hände wurden bereits gezählt. Indirekt hilft auch ein Einkauf im Ahrtal-Store. Wer dort online einen Kalender, eine Tasse, ein T-Shirt oder einen Spätburgunder bestellt, unterstützt indirekt die Menschen vor Ort. Für die Menschen in Berchtesgaden und die sieben anderen betroffenen Landkreise hat Bayern mehrere Soforthilfeprogramme in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Und auch das Thema „Warnung der Bevölkerung“ sei durch die Erfahrungen im Ahrtal stärker in den Fokus gerückt, berichtet Landrat Bernhard Kern. Im Landkreis sollen stationäre Sirenen gebaut werden. Doch neben der Technik müsse auch die Bevölkerung sensibilisiert werden, so Kern. „Denn die beste Warnung hilft nichts, wenn die Bürger nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.“ 

Bildquelle Header: Navis e.V.