Erkrankt ein Familienmitglied an Demenz, beginnt für alle Angehörigen eine schwierige Zeit. Doch es gibt viele Hilfs- und Therapieangebote.
Jochen Reichelt ist jeden Tag viel unterwegs. In der Wohnung überprüft er die Heizkörper und dreht sie hoch, im Keller schaut er nach dem Rechten. Er schiebt die Vorhänge zur Seite, um die Autos zu zählen und prüft in der Werkstatt im Garten, ob alle seine Werkzeuge noch da sind. Jede Stunde schaut er nach, ob Post im Briefkasten gelandet ist und die Mülltonnen voll sind. Die Runde wiederholt er zigmal am Tag, weil er sofort wieder vergisst, was er gesehen oder getan hat. Jochen Reichelt (86) ist dement – seit vier Jahren.
In Bayern leben derzeit 240.000 Menschen mit Demenz, „Tendenz leider steigend“, erklärt Bernhard Seidenath, Vorsitzender des Arbeitskreises Gesundheit und Pflege der CSU im Landtag.
„Deshalb war es richtig, dass wir die Hilfs- und Beratungsangebote bereits in der Vergangenheit stark ausgebaut haben.“ Ziel der 2013 beschlossenen Bayerischen Demenzstrategie, die aktuell weiterentwickelt wird, ist es, die Gesellschaft für das Thema Demenz zu sensibilisieren, Ängste abzubauen und so der Stigmatisierung und Tabuisierung der Krankheit entgegenzuwirken.
Die Fachstelle für Demenz und Pflege Bayern ist die zentrale Anlaufstelle, wenn es um Fragen rund um das Thema Demenz in Bayern geht. Sie bietet kostenlos Information und Unterstützung an und hat ihren Sitz in Nürnberg. Zudem gibt es regionale Fachstellen in den einzelnen Regierungsbezirken. Ab Pflegegrad 1 haben Pflegebedürftige in häuslicher Pflege Anspruch auf den Entlastungsbeitrag in Höhe von 125 Euro pro Monat, der zum Beispiel für Leistungen der Tages-, Kurzzeit- oder Nachtpflege sowie Angebote zur Unterstützung im Alltag in Anspruch genommen werden kann.
„Ich bin seine absolute Bezugsperson“
"Es fing schleichend an“, erzählt Ingeborg Reichelt im gemeinsamen Haus in Dachau. Ihr Mann habe immer öfter „Schmarrn geredet“. Für die Sitzungen im Seniorenbeirat, dem er viele Jahre angehörte, bat er irgendwann seine Frau ihn zu begleiten. „Da habe ich gemerkt, er kann nicht mehr nachvollziehen, was da gesagt und gemacht wurde.“ Ingeborg Reichelt meldete ihren Mann ab und je mehr er sich aus dem öffentlichen Leben zurückzog, desto mehr Aufgaben kamen auf die heute 76-Jährige zu. „Ich bin seine absolute Bezugsperson“, sagt sie.
Jochen Reichelt tut sich bislang schwer, externe Angebote wie eine mobile Tagespflege oder Ergotherapie anzunehmen. Unterstützung lässt er nur zu, wenn sie von seiner Frau oder den nächsten Verwandten kommt. Der Sohn lebt glücklicherweise mit seiner Frau und den drei Enkeln im gleichen Haus, die Tochter nur einen Steinwurf entfernt. Beide sind berufstätig, nehmen sich aber Zeit. „Das ist wunderbar“, sagt die 76-Jährige. Einmal pro Woche kommt eine Hilfe der mobilen Pflege vorbei, die im Haushalt unterstützt. Finanziell hilft der Pflegegrad 3.
„Demenz heißt für viele Betroffene, dass sie zusätzliche Unterstützung benötigen und vielleicht auch der Tag-Nacht-Rhythmus ins Wanken gekommen ist. Für viele Angehörige kann es daher eine wichtige Entlastung sein, wenn sie stundenweise Unterstützung – beispielsweise über Betreuungsgruppen, Helferkreise oder Nachtpflegeangebote – erfahren“, erklärt Bernhard Seidenath.
Ein erfülltes Leben
Ingeborg und Jochen Reichelt sind seit 57 Jahren verheiratet. Im Bücherregal im Esszimmer stehen Bildbände von vielen gemeinsamen Reisen, die sie unternommen haben: Nach Neapel und in die Toskana, nach Rom und nach Polen, in die Heimat von Jochen Reichelt. „Beim Segen von Papst Benedikt XVI. auf dem Petersplatz war ich so berührt, und das als Protestantin!“, erzählt Ingeborg Reichelt lachend. Trotz vieler Arbeit – Jochen Reichelt hatte als Schreinermeister eine eigene Werkstatt und arbeitete später in einer Papierfabrik in Dachau, Ingeborg Reichelt war viele Jahre als Sekretärin bei einem Maschinen- und Anlagenhersteller tätig – hatten sie ein erfülltes Leben. Umso schwieriger ist es für Ingeborg Reichelt, dass ihr Mann nicht mehr der Mensch ist, der er einmal war.
Immer „vorne mit dabei gewesen“ sei er, erinnert sie sich. Schon in der Schule als Klassensprecher, als Gründungsmitglied des Posaunenchors in den 1950er-Jahren, im Kirchengemeinderat oder bei der Freiwilligen Feuerwehr. Und obwohl er viel arbeitete, packte er zu Hause mit an und räumte das Geschirr nach dem Essen ab: „Dann konnte ich mich ausruhen“, erzählt Ingeborg Reichelt. Heute muss sie darauf achten, was er zu sich nimmt: „Demenzkranke wissen nicht, wann und wie viel sie gegessen haben.“ Seit einiger Zeit häufen sich auch bei Ingeborg Reichelt die gesundheitlichen Probleme. Wegen eines Bandscheibenvorfalls und einer Thrombose ist sie in Behandlung und leidet unter starken Schmerzen. Die Familie hat sich entschieden, Jochen Reichelt in einem Pflegeheim anzumelden. Aktuell warten sie auf einen freien Platz.
In Bayern werden rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause – meist von Angehörigen – versorgt. Schreitet die Erkrankung voran oder können die Angehörigen die Pflege zu Hause nicht mehr leisten, kann der Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung die richtige Lösung sein. Dabei ist es wichtig, dass die Einrichtung ein geeignetes Konzept zur Versorgung Demenzkranker bietet. Möglich ist auch der Einzug in eine Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz. Meist leben dort sechs bis zwölf Betroffene in einer Wohnung zusammen und werden durch ambulante Betreuungs- und Pflegedienste versorgt.
„Möchtest Du noch Kaffee?“ fragt Ingeborg Reichelt ihren Mann. „Da sind immer so Sachen, haben oder nicht haben, rechts oder links“, antwortet er.
Interview mit Bernhard Seidenath
Kann man Demenz vorbeugen?
Bei bestimmten Formen wie zum Beispiel der vaskulären Demenz ja, durch gesunde Ernährung, Bewegung und indem man auf Zigaretten und auf einen übermäßigen Alkoholkonsum verzichtet. Auch die Kontrolle des Blutdrucks und des Hörvermögens können wichtig sein. Wichtig ist auch das Thema Teilhabe: Soziale Kontakte fordern das Gehirn. Ansonsten wissen wir ehrlicherweise noch nicht, was Demenz auslöst. Medikamentöse Therapien sind deshalb noch in weiter Ferne.
Welche drei Initiativen der CSU-Landtagsfraktion waren die wichtigsten im Bereich Demenz in den vergangenen Jahren?
Menschen mit Demenz haben ein Anrecht auf aktive Teilhabe und ein würdevolles Leben. Wir haben deshalb den Bayerischen Demenzfonds aufgelegt, der entsprechende Projekte fördert. In den Demenzfonds fließen Mittel des Freistaates Bayern, aber auch Spenden oder testamentarische Vermächtnisse. Darüber hinaus setzen wir uns für eine Verbesserung der Situation der pflegenden Angehörigen ein. Wir haben in Bayern ein in dieser Form bundesweit einzigartiges Netz an Fachstellen für pflegende Angehörige, die psychosozial begleiten und beraten. Aber natürlich brauchen wir auch mehr Kurzzeitpflege. Der Freistaat fördert hier die Schaffung neuer Plätze: Die Einrichtungen erhalten einen Pauschalbetrag in Höhe von bis zu 10.000 Euro pro Jahr, um besondere finanzielle Risiken abzufedern: Denn Kurzzeitpflegeplätze sind ja nicht dauerhaft belegt. Die CSU-Landtagsfraktion hat zudem den Bayerischen Demenzpreis ermöglicht, der seither an Initiativen vergeben wird, die Projekte in diesem Bereich vorbildlich umgesetzt haben. Und wir wollen mehr über die Krankheit und ihre Auswirkungen auf die Betroffenen erfahren, weshalb wir den Bayerischen Demenz Survey ermöglicht haben. Er wird nun in Form von DigiDEM, dem digitalen Demenzregister Bayern, weitergeführt.
Wer bekommt Pflegegeld in Bayern?
Das Landespflegegeld ist Teil des umfangreichen Pflegepakets, das die Bayerische Staatsregierung im Mai 2018 beschlossen hat. Menschen, die mit Pflegegrad 2 oder höher eingestuft wurden und ihren Hauptwohnsitz in Bayern haben, haben Anspruch auf jährlich 1.000 Euro. Mit dem Landespflegegeld sollen pflegebedürftige Menschen eine Wertschätzung und eine finanzielle Unterstützung bekommen. Jährlich erhalten rund 350.000 Menschen das Bayerische Landespflegegeld.