Die Integration von Flüchtlingen stellt den Freistaat jedes Jahr vor große Herausforderungen. Was läuft gut? Wo gibt es Verbesserungsbedarf? Wir haben uns umgesehen.
Rama Abdulhadi sitzt in ihrem Wohnzimmer auf einem Sofa. Ein Tablet liegt auf ihrem Schoß und sie verfolgt das regelmäßige Pochen eines Herzschlags. Auf dem Bildschirm: die Anatomie des Herzens. Rama Abdulhadi ist 21 Jahre alt. Sie kommt aus Syrien und spricht fließend Deutsch. In München hat sie Abitur gemacht. Ihr größter Wunsch: Den Medizinertest bestehen, einen Studienplatz für Medizin bekommen und Chirurgin in Deutschland werden.
Ohne Fleiß kein Preis
Dafür arbeitet sie seit Monaten mit harter Selbstdisziplin. Jeden Tag studiert sie auf ihrem Tablet, lernt medizinische Fachbegriffe auswendig und bereitet sich auf das Medizinstudium vor. Sie absolvierte mehrere Praktika in Kliniken und sammelt derzeit in einem Minijob am Klinikum rechts der Isar erste Praxiserfahrungen. „Ohne Fleiß kein Preis“ ist ihr Motto, das sie schon als kleines Kind ihren Eltern täglich aufgesagt hat.
Rama Abdulhadi ist mit ihren Eltern und ihren drei kleineren Geschwistern vor sechs Jahren aus Damaskus nach Deutschland gekommen. Nach mehreren Stationen in bayerischen Flüchtlingsheimen hat die Familie in Neubiberg ein neues Zuhause gefunden. „Am Anfang war für uns alles komplett fremd – die Kultur, die Traditionen, die Sprache. Aber wir waren immer neugierig und wollten alles kennenlernen. Wir suchten die Integration. Wir wollten uns integrieren und die Gesellschaft als Einheit fühlen“, erzählt Abdulhadi über die erste Zeit in Deutschland. Ein Helferkreis in Neubiberg hat der Familie geholfen, sich am Anfang zurechtzufinden. Eine Lehrerin begleitete Rama Abdulhadi bis zu ihrer Abiturprüfung. Aus Nachbarn wurden Freunde.
Rama Abdulhadis Motto prägt die ganze Familie. Der Vater arbeitet in einem deutschen Unternehmen, die Mutter hat gerade ihre B1-Prüfung bestanden und möchte eine Ausbildung zur Tagesmutter machen. Die drei Geschwister gehen noch zur Schule und möchten später in Deutschland arbeiten. Damit die Noten stimmen, helfen sich die Geschwister gegenseitig beim Lernen. Sprache ist dabei ein wichtiges Thema. Auf dem Tablet sind zahllose Sprach-Apps installiert. Die jüngste Schwester ist 11 Jahre alt und lernt in ihrer Freizeit per Tablet Japanisch, ihre Brüder Spanisch und Englisch. Rama Abdulhadis Ziel ist es, zehnsprachig zu werden. „Sprachen geben mir später als Ärztin die Möglichkeit, mit noch mehr Menschen zu kommunizieren und ihnen zu helfen“, erklärt sie.
Mutmacher gibt es in Bayern überall
Rama Abdulhadi und ihre Familie sind ein gelungenes Beispiel von Integration. Dass es nicht immer so einfach ist, weiß auch die CSU-Abgeordnete Gudrun Brendel-Fischer. Seit Dezember 2018 ist sie Bayerische Integrationsbeauftragte. 2020 gab es in Bayern rund 12.000 Erstanträge auf Asyl, im Jahr davor waren es rund 18.000. Insgesamt erhielten 2020 knapp 36 Prozent der Antragsteller in Bayern einen Schutzstatus. Wer keinen Schutzstatus erhält, muss Bayern wieder verlassen.
Mittel aus dem Fördertopf des Freistaates, des Bundes und der EU helfen, den Integrationsprozess zu beschleunigen. In den vergangenen beiden Jahren hat der Freistaat Bayern mehr als 1,37 Milliarden Euro für die Integration investiert. Dank einer guten Personalquote und verlässlicher Kooperationspartner entstehen in vielfältigen Bereichen Bildungs- und Qualifizierungsangebote, sowie Ausbildungs- und Beschäftigungsplätze. Auch können mit den Fördermitteln mehr Sozialberatungsleistungen und Integrationsprojekte angeboten werden.
2021 hat Gudrun Brendel-Fischer das Projekt „Gemeinsam Mutmacher sein“ auf die Beine gestellt: „Mutmacher gibt es in Bayern überall – Menschen, die sich gut in Bayern integriert haben und ihren eigenen Weg gegangen sind. Und Haupt- und Ehrenamtliche, die diesen Weg geebnet haben. All diesen Personen wollen wir mit dem Mutmacherprojekt eine Stimme geben.“ In dem Projekt stellen Menschen mit Migrationshintergrund ihre ganz persönliche Einwanderungsgeschichte vor: „Zunächst haben wir nur wenige, uns bekannte Personen direkt angesprochen und bei ihnen angefragt. Mittlerweile hat sich eine Kettenreaktion entwickelt und immer mehr wollen ihre Geschichte erzählen“, so die Integrationsbeauftragte. Sie teilen ihre eigenen Erfahrungen, zeigen Lösungswege auf und machen anderen Menschen Mut.
Rama Abdulhadi ist auch eine Mutmacherin. Während ihrer Abiturzeit hat sie in ihrer Freizeit Flüchtlingen beim Ausfüllen von Dokumenten geholfen oder bei Arztbesuchen medizinische Fachbegriffe übersetzt. Dass Integration nicht immer gelingt, dafür sieht sie zwei Gründe: „Zum einen muss die Politik es schaffen, ihre vielen Angebote an Geflüchtete besser zu vermarkten. Manche Leute wollen sich integrieren, schaffen es aber nicht, weil die Barrieren zu groß sind. Als wir nach Deutschland gekommen sind, wussten wir nicht, wo wir uns überhaupt informieren können. Das müsste besser organisiert sein.“ Nur wer viel Eigeninitiative zeige, finde sich in dem vielfältigen Informationsangebot zurecht, so Abdulhadi.
In der fehlenden Eigeninitiative sieht Abdulhadi das zweite Problem: „Manche Leute wollen sich nicht integrieren. Das finde ich schlecht. Sie verstehen Integration falsch, meinen, sie müssen alle Werte und ihre Kultur aufgeben. Sie versuchen, alles auszuschließen, um nicht von der neuen Kultur beeinflusst zu werden.“ Für Abdulhadi bedeutet Integration nicht, die eigenen Werte und Traditionen aufzugeben, sondern die Werte der deutschen Kultur in das eigene Werteverständnis aufzunehmen.
Orte der Begegnung schaffen
Auch Gudrun Brendel-Fischer sieht in den Vorbehalten bei den Zugewanderten, aber auch in der Aufnahmegesellschaft einen Grund, weshalb Integration manchmal nicht gelingt: „Je weniger man voneinander weiß, je weniger es zu Begegnungen kommt, desto mehr wachsen Misstrauen und Vorurteile. Daher gilt es, vor Ort und möglichst niedrigschwellig Orte der Begegnung zu schaffen. Das kann nicht seitens der Landesregierung verordnet werden. Integration wird vor Ort gelebt.“ Dabei komme es auf ein ausgewogenes Verhältnis aus Toleranz, Respekt und Akzeptanz auf beiden Seiten an. „Menschen in Bayern ist es wichtig, dass die Identität und das Wertefundament unserer Gesellschaft auch künftig Grundlage des Zusammenlebens sind. Unsere Traditionen, unsere Gesetze und Werte sind uns wichtig. Sie stehen außer Frage. Werte und Normen sind aber durchaus diskutierbar, müssen immer wieder neu ausgehandelt und gemeinschaftlich beschlossen werden. Wer hier leben möchte, muss dennoch eine gewisse Grundakzeptanz und Offenheit mitbringen“, so Gudrun Brendel-Fischer. In dem Dreiklang „Bildung, Sprache, Werte“ sieht sie die Basis des Zusammenlebens und einen Schlüssel zu gelingender Integration.
Und welche Pläne hat die Integrationsbeauftragte für die Zukunft? „Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Frauen, damit sie nicht untergehen wie damals, als die erste Gastarbeitergeneration zu uns kam.“ Auch der interreligiöse Dialog sei ausbaufähig, weshalb Gudrun Brendel-Fischer gerade ein Format plant, um den Austausch vor Ort konsequenter zu leben. „Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Brücken zwischen unterschiedlichen Kulturen zu bauen. Es geht darum, das Verbindende in den Vordergrund zu stellen, nicht das Trennende.“
Weitere Informationen zum Thema:
Ob Mutmacher, eine zweisprachige Bücherbox oder der Integrationsrucksack für Kinder im Kita-Alter – die Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung bietet Menschen mit Migrationshintergrund ein großes Angebot für einen guten Start in Deutschland. Alle Informationen rund um die Projekte finden Sie hier: https://integrationsbeauftragte.bayern.de/
Mehr zum Integrationsprojekt Mutmacher gibt es zum Nachhören un unserer Podcast-Folge "Vom Ihr zum Wir"