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Interview
Vernetzte Mobilität
Lesezeit: 3 Minuten

Herr Harnisch, Sie haben sich mit einem Team von Bayern Innovativ unter anderem mit der urbanen Mobilität der Zukunft beschäftigt, insbesondere verbunden mit den Lehren der Covid-19 Pandemie. In welchen Bereichen hat Corona unser Mobilitätsverhalten nachhaltig verändert?



Zu Beginn der Pandemie brach die Verkehrsleistung aufgrund der Lockdowns zunächst ein. Aus Angst vor Ansteckung griffen viele Menschen auf individuelle Mobilitätsformen wie das Auto oder das Fahrrad zurück. Shared Mobility und der klassische ÖPNV verloren an Attraktivität. Heute liegt das Verkehrsaufkommen wieder etwa auf Vorkrisenniveau. Dennoch hat sich die Mobilitätswelt verändert. So haben sich neue Geschäftsmodelle wie Auto-Abos bewährt, während es andere – zum Beispiel Ride-Sharing und Pooling – weiterhin schwer haben. Grundsätzlich hat die Pandemie die Anforderungen an die Flexibilität von Mobilitätsangeboten erhöht. Hybrides Arbeiten und Homeoffice haben sich etabliert und machen das klassische Monatsticket unter Umständen unattraktiv. Hier bedarf es flexibler und digitaler Tarife und Ticketlösungen.

 

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Nicolai Harnisch studierte Politikwissenschaften und Soziologie an den Universitäten München, Granada, Marburg und Madrid. Nach seinem Masterabschluss 2019 schloss er sich dem Zentrum Digitalisierung.Bayern an, zunächst als Referent der Geschäftsführung. Seit April 2020 arbeitet er bei der Bayern Innovativ GmbH als Projektmanager Technologie an der Schnittstelle von Digitalisierung und Mobilität, z. B. in der Themenplattform Vernetzte Mobilität und im EU-Projekt „E-Hubs“ sowie im Bereich Internationalisierung.
@Bayern Innovativ GmbH

Welche Wege könnte eine Stadt beschreiten, um eine bessere Kombination aus ÖPNV,  Mikromobilität und aktiver Mobilität zu ermöglichen?

Der Schlüssel liegt in der Integration der verschiedenen Mobilitätsangebote. Ich persönlich habe  allein 17 Mobilitätsapps auf meinem Smartphone – mit jeweils unterschiedlichen Preismodellen, Zahlungsmitteln und Geltungsbereichen. Das ist nicht nutzerfreundlich. Die Angebote sollten in einer App integriert werden. Ein gutes Beispiel ist die MVGO-App der Stadtwerke München. Ein wichtiger  Punkt sind zudem Stationen, an denen unterschiedliche Verkehrsmittel gebündelt werden. Das erhöht die Verlässlichkeit und damit die Attraktivität dieser Angebote. Zugleich sorgen dezidierte Abstellorte für Shared Mobility-Fahrzeuge für ein aufgeräumtes Stadtbild. Wir beteiligen uns aktuell  mit der Stadt Kempten im EU-geförderten Projekt „eHUBS“ an der Pilotierung und Erprobung von Mobilitätsstationen, wo genau solche Aspekte erforscht werden. Der letzte, vermutlich schwierigste  Schritt wäre eine tarifliche Integration. Einer der Vorreiter sind die Stadtwerke Augsburg. Hier kann  man mit dem ÖPNV-Ticket ein Budget für das Car- und Bike-Sharing hinzubuchen.

Einen besonderen Schwerpunkt für urbane Mobilität nimmt das Fahrrad ein. Wie können die  Leute dazu animiert werden, das Rad als Mittel der täglichen Mobilität zu nutzen?

E-Bikes und E-Lastenfahrräder ermöglichen zusätzliche Anwendungsfälle wie längere Distanzen,  Steigungen ohne Anstrengung oder Versorgungs- und Einkaufsfahrten und erschließen neue  Nutzergruppen. Der wichtigste Hebel ist allerdings weiterhin die Verkehrssicherheit. Diese wird vor  allem durch eine umfassende, möglichst unterbrechungsfreie und vom Autoverkehr getrennte Fahrradinfrastruktur sichergestellt. Aber auch Arbeitgeber haben Einfluss. Durch Angebote wie Fahrrad-Leasing sowie die Bereitstellung von Stellplätzen, Duschen und Schließfächern können sie  Mitarbeitende motivieren, mit dem Rad zur Arbeit zu kommen.

Und was machen die Menschen, wenn es regnet?

Natürlich ist die Witterung für viele Radler und Radlerinnen ein Showstopper. Die zuvor erwähnten  Angebote an der Arbeitsstätte können helfen. Mittlerweile gibt es aber auch innovative Fahrzeugkonzepte, die genau diesen Fall adressieren und einem Hybrid aus E-Bike und Auto  gleichen. Sie sind überdacht, sehr umweltfreundlich und raumeffizient. Einige Modelle werden auch in Bayern produziert, wie der Hopper oder der CityQ. 

Lassen Sie uns zum Abschluss noch ein bisschen weiter in die Zukunft blicken: Autonomes Fahren hat da Potenzial, Pendelverkehre komplett neu zu gestalten. Das Auto würde zum  Arbeitsplatz, Fahrzeit echte Arbeitszeit. Sehen Sie darin eine Chance oder überwiegen die  Risiken, weil dann wieder mehr Menschen auf den motorisierten Individualverkehr umsteigen?

Ich schätze die Chancen höher ein als die Risiken. Autonome Fahrzeuge können Mobilitätsangebote in Gebieten ermöglichen, in denen es aktuell kaum Alternativen zum PKW gibt. Das betrifft vor allem  auch ältere Menschen. Es überrascht also nicht, dass gerade in eher ländlich geprägten Regionen wie Kronach, Bad Birnbach oder Kelheim wichtige Forschungsprojekte zum Einsatz autonomer Shuttles stattfinden. Zudem verspricht ein hoher Grad an Automatisierung und Vernetzung einen besseren und damit umwelt- und klimafreundlicheren Verkehrsfluss sowie mehr Schutz für vulnerable Verkehrsteilnehmer. Schließlich werden rund 90 Prozent aller Verkehrsunfälle durch menschliches Versagen verschuldet. Es gibt also viele gute Gründe für die Erforschung und  Entwicklung dieser Technologie. 

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