An der Stimme hören, ob ein Mensch Parkinson hat? Am Husten Corona-Symptome erkennen? Künstliche Intelligenz kann genau das leisten und wird deshalb gerade im Gesundheitsbereich immer erfolgreicher eingesetzt. Das Gilchinger Unternehmen Audeering entwickelt seit vielen Jahren KI-Anwendungen - unter anderem für den Gesundheitsbereich, wo Emotionen und die Sprache die zentralen Indikatoren sind.
Die KI-basierte Analyse eines Audiosignals – also ein Signal einer Maschine, der Umwelt, von einem Tier oder dem Menschen – steht bei den Anwendungen von Audeering im Mittelpunkt. Das Unternehmen entwickelt mit diesen Signalen bereits im Markt eingesetzte Technologien für intelligente Geräte wie smarte Kopfhörer oder Smartphones, für die Marktforschung, für Automotive-Anwendungen und für den Gaming-Bereich. Besonders im Fokus steht der Gesundheitsbereich, wo die menschliche Stimme oder auch Stimmung als Audiosignal für die KI-Forscher und Entwickler das Entscheidende ist. „Unser Ziel ist es, mit sogenannten Biomarkern aus der Stimme Krankheiten besser und sicherer zu erkennen und Verläufe umfangreich zu verstehen und zu deuten“, erklärt CEO Dagmar Schuller. Sie hat Audeering 2012 mitgegründet. KI massentauglich für die Menschen einzusetzen, ist seitdem das Ziel ihres Teams.
Sprache und Emotionen als Schlüssel
Wie funktioniert‘s? Per Sprachanalyse können die Anwendungen Anzeichen von Parkinson, Burnout oder Depression erkennen und damit Ärzten frühzeitig und mit einer Genauigkeit von 92 Prozent Informationen liefern. „Unsere Technologie extrahiert aus dem Audiosignal tausende Merkmale, sodass zum Beispiel Störungen in der Artikulationsmuskulatur sehr früh ermittelt werden können“, erklärt Dagmar Schuller. Parkinson könne man unter anderem an Unregelmäßigkeiten im Sprachsignal erkennen, wenn der Patient zum Beispiel bestimmte Wörter nicht mehr richtig aussprechen kann oder Vokale anders ausgesprochen werden. „Uns geht es dabei nicht darum, Ärzte zu ersetzen. Aber die KI bietet vor allem in der Diagnose und der Therapie starke Vorteile, die sich Ärzte und Therapeuten zu Nutze machen können.“ Ein weiterer positiver Effekt für den Gesundheits- und Pflegebereich ist laut Schuller, dass „der individuelle Patient im Mittelpunkt steht und nicht mehr in der Masse der Kranken untergeht.“
In vielerlei Hinsicht könne KI schon jetzt viel für Patienten leisten. „Durch den Einsatz von KI in der Telemedizin kann der Arzt mit weitaus mehr Daten arbeiten und weiß mehr über den Patienten, sofern dieser es zulässt. Zudem sind Patienten im ländlichen Raum sehr einfach mit ihren Fachärzten in Kontakt. Mit Apps, die zum Teil inzwischen auch von Krankenkassen unterstützt werden, haben Menschen selbst Werkzeuge in der Hand, die den Verlauf ihrer Krankheit darstellen und erleichtern könnten. Und gerade in Zeiten von Corona wird der Kontakt zum Arzt in vielen Fällen virtuell – hier können diese Technologien ihr Potenzial voll entfalten“, so Schuller weiter.
App erkennt Corona-Symptome
Gleich zu Beginn der Corona-Pandemie hat das Unternehmen gemeinsam mit der Universität Augsburg, Ärzten aus Wuhan und der Universität Tokyo eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, die beschreibt, welche Symptome bereits vorhandene wissenschaftlich geprüfte Technologien erkennen können und wie man eine KI-basierte Audioanalyse dafür nutzen kann.
Diese Arbeit galt als Basis für die Entwicklung der App. „Aus der Stimme und bestimmten Geräuschen wie Husten, Atemproblemen oder Keuchen können wir eine hohe Wahrscheinlichkeit ableiten, ob eine COVID-19-Erkrankung vorliegt.“ Ein anschließender PCR-Test oder zusätzliche Testmöglichkeiten würden dann endgültige Gewissheit bringen. „Im nächsten Schritt beobachtet die App die Entwicklung der Audiosignale während der Krankheit, sodass wir neue Erkenntnisse für die Forschung und Therapie im Krankheitsverlauf gewinnen können“, berichtet Dagmar Schuller. „Die Vorteile: Man kann bei einer positiven Meldung der App die Patienten rechtzeitig isolieren und für einen anschließenden PCR-Test schnell identifizieren. Bei einem positiven Test ist es möglich, die Therapie besser abzustimmen, denn der Arzt erhält genauere Informationen über den Verlauf und auch schwere Fälle lassen sich frühzeitig erkennen.“ Seit Kurzem sucht das Unternehmen Freiwillige für Datenspenden, damit die Genauigkeit der Anwendung weiter gesteigert werden kann. Ziel sei es, rund 250.000 qualitative Datensätze zu generieren und damit das Grundmodell mit Daten aus dem Frühjahr entsprechend „nachzutrainieren“. „Sobald wir diese Anzahl an Daten erreicht haben, können wir sechs bis acht Wochen später die Diagnose-App für die Allgemeinheit als Hilfstool zur Verfügung stellen“, erklärt Schuller.
Nutzen könnten die App dann sowohl Privatpersonen als auch Gesundheitsämter oder Institutionen wie Krankenhäuser und Schulen. Dagmar Schuller: „Gesundheitsämter könnten dann automatisch beim Anruf von COVID-19 positiv getesteten Personen Soundproben nehmen und Fragen abarbeiten, um etwa kritische Verläufe schnell zu erkennen.“
Start-ups und Bayern
Schuller ist froh, dass Bayern Innovationen und neuen Technologien aufgeschlossen gegenübersteht. Auch bezüglich der Corona-App war sie bereits im Gespräch mit der Staatsregierung. „Bayern ist enorm sexy für Startup-Gründer“, sagt sie. „Vielversprechende Firmen werden hier gut mit Initiativen und Förderprogrammen unterstützt – immer mit dem Ziel, dass diese Firmen auch bleiben.“ 2018 wurde Audeering zum Beispiel mit dem Bayerischen Innovationspreis ausgezeichnet. „Für uns ein absoluter Ansporn, denn die Konkurrenz in Bayern ist hart. Start-ups in Bayern haben den Anspruch, nachhaltig zu arbeiten.“
Die Zusammenarbeit mit den bayerischen Universitäten sieht Dagmar Schuller in diesem Zusammenhang als großen Vorteil. Sie sei nicht nur für Forschungsprojekte wichtig, sondern auch um qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen. „Wir sind auch ein Spin-off der TU München und stolz darauf!“
Zukunft der KI
All das trage bereits dazu bei, dass Künstliche Intelligenz einen immer höheren Stellenwert bei den Menschen erhalte und der tägliche Nutzen auch wahrgenommen werde. Was die Akzeptanz von Künstlicher Intelligenz betrifft, müsse man den Menschen teilweise noch die Skepsis nehmen. „KI sollte nicht als die große Unbekannte betrachtet und misstrauisch beäugt werden“, wünscht sich Dagmar Schuller. „Wir müssen uns und den Menschen klarmachen, dass KI in sämtliche Lebensbereiche Einzug halten wird beziehungsweise es bereits tut – ob im Gesundheitswesen, der Unterhaltungsindustrie, im Smart Home oder bei der Erreichung von Klimazielen. Es braucht Vertrauen in die KI und damit verbunden auch Standards für Transparenz, Sicherheit und Datenqualität, die für alle erklärbar und verständlich sind.“ KI bereits früh im Bildungswesen zu etablieren sei für Dagmar Schuller ein wichtiger Ansatz. „Ich unterstütze sämtliche Maßnahmen, die anschaulich zeigen, wo das große Potenzial von KI liegt und auch, wo Risiken sind.“ Gerade im Gesundheitsbereich sei das wichtig, da dieser unmittelbar für das Wohl der Menschen arbeite.
Dagmar Schuller ist CEO und Mitbegründerin von Audeering. Sie leitet die Bereiche Strategie, Business Development und Operations des Unternehmens, das 2012 als Spin-off der Technischen Universität München gegründet wurde. Sie hat mehr als 20 Jahre Erfahrung im Bereich Digital Media & IT.